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Interview mit einem Schüler

Interview mit einem Schüler: Kai-Ole E.

Im Folgenden gibt ein fortgeschrittener Schüler der Zhen Wu einen Einblick in seinen „Gong Fu Lebenslauf“. 

1. Wie alt bist Du und wie lange bist Du schon im Gong Fu unterwegs? Ich bin Jahrgang 1981 und betreibe schon seit meiner Kindheit verschiedene Kampfkünste. Meine erste Berührung mit Gong Fu hatte ich mit ca. 16 Jahren, als in unserer Stadt eine Wing Tsun Schule eröffnet hat. Phasenweise habe ich in dieser Zeit bereits sehr viel trainiert, im Wechsel das Wing Tsun und Taekwondo. Allerdings war das noch unsystematisch und es stand dahinter noch nicht das, was Gong Fu heute für mich bedeutet. Während des Studiums habe ich dann lange pausiert. Erst im April 2008 habe ich wieder mit dem Praktizieren von Kampfkunst begonnen und dieses Mal weitaus tiefere Einblicke in das Gong Fu erhalten. Ich habe in Münster begonnen, Langfaust, und auch ein wenig modernes Wu Shu zu trainieren. Dazu kamen Anfänge innerer Methoden aus dem Bagua und Xing Yi. Und natürlich Sanda, was mir große Freude gemacht hat. Das Curriculum („FuPao“) war also recht individuell von meinem damaligen Lehrer, Jörg Gykas, zusammengestellt.  
Als ich nach Osnabrück gezogen bin, hat er mich dann an Jochen Shifu verwiesen. Das muss Anfang 2010 gewesen sein. In Münster habe ich noch eine Zeit lang QiGong und Chen Taiji geübt, aber seitdem waren die Zhen Wu, bzw. ihre Vorgängerin „Bailung“, meine GongFu-Heimat und Jochen mein Lehrer.  

2. Was hat Dich damals dazu bewogen, mit Gong Fu anzufangen? Wie kamst Du zur Zhen Wu? 
Eine Faszination für Kampfkunst hat mich schon als kleiner Junge gepackt, beflügelt von den großen Actionfilmen der 80er und 90er, aber auch von den klassischen Bruce Lee–Filmen und der wunderbaren Serie „Kung Fu“ mit David Carradine. Es stand sicher der Wunsch dahinter, sich kämpferisch behaupten zu können, aber entspricht natürlich auch ein wenig dem Klischee. 
Als ich zum Ende meines Studiums unbedingt wieder fitter werden wollte und eine Alternative zum Schreibtisch brauchte, konnte ich an die Kampfkunstprägung der Jugend anknüpfen, wollte aber auf keinen Fall zurück zum Wing Tsun oder Taekwondo. Der Zufall hat dann geholfen, weil der Unterricht meines damaligen Lehrers in einem Sportverein direkt um die Ecke meiner damaligen Wohnung angeboten wurde.
Ich war dann sofort begeistert, über die Grundlagen meiner Kindheit hinaus in die komplexe Welt des Gongfu eintauchen zu können. Dass es für mich von da aus durch meinen Umzug nach Osnabrück zur Zhen Wu weiterging, war ein großes Glück. Mein damaliger Lehrer hat sein Curriculum wie gesagt recht offen gehalten, aber gemerkt, dass zu mir eine traditionellere Ausbildung gut passen würde. So konnte ich durch Jochen Shifu von den ersten Schritten in Münster aus dankenswerterweise viel tiefer einsteigen. Das war nur möglich, weil in den Zhen Wu eine so große Offenheit herrscht und die stilübergreifende Arbeit an der Kampfkunst einen so hohen Stellenwert hat, dass es kein Problem war, dass ich von einem anderen Lehrer kam und bei dem auch weiterhin Unterricht hatte. Das gehört zu den Werten der Zhen Wu bis heute und macht sie so wertvoll. Traditionelle Ausbildung und Austausch gehen in unserer Familie Hand in Hand.

3. Wo liegt im Training Dein Fokus? Was trainierst Du zur Zeit am intensivsten?
Im Moment wird mein Leben durch Kinder und hohe Anforderungen im Job ziemlich aufgewirbelt. Von einer täglichen Trainingsroutine muss ich öfter abweichen als mir lieb wäre. Dabei ist sie mir eigentlich das Wesentliche: Unabhängig davon, worauf man sich gerade spezialisiert, macht die tägliche Pflege des Gongfu sein eigentliches Wesen für mich aus. Durch die wenige Zeit muss ich mir im Moment gut überlegen, was ich übe. Immer dazu gehören Stellungen, Grundtechniken oder Bahnen: da möchte ich nach Möglichkeit ein gewisses Niveau halten, denn die Qualität alles Übrigen baut darauf auf. Darüber hinaus versuche ich, das Handformencurriculum möglichst präsent zu halten. Waffen vernachlässige ich dafür gerade etwas, ebenso wie Fitness und Dehnung. Für vereinzelte Vertiefung bleibt trotzdem nur noch wenig Zeit übrig. Im Moment widme ich sie dem Acht-Brokate-Qigong und dem Miao Dao.
Weil mir neben der Gesundheit und Selbstkultivierung der kämpferische Aspekt des Gongfu immer wichtig war, probiere ich hin und wieder, für Sparring eine Jiu-Jitsu-Schule hier in der Nähe aufzusuchen. Auch hier bewehrt sich wieder die große Offenheit der Zhen Wu.

4. Was hat Dich dazu bewogen in der Zhen Wu zu bleiben? 
Zunächst einmal ist mir die Zhen Wu einfach als Gongfu-Famlie sehr ans Herz gewachsen. All die gemeinsamen Erfahrungen, der gemeinsam vergossene Schweiß, die Freundschaften mit meinen Kungfu-Geschwistern bedeuten mir viel. Darüber hinaus sind die Lehrer innerhalb der Zhen Wu nicht nur wunderbare Menschen, sondern auch sehr kompetent. Das liegt auch daran, dass sie selbstkritisch sind, sich als Lernende verstehen und ihr Gongfu kontinuierlich weiterentwickeln. Wir alle bilden hier eine Lerngemeinschaft. 
Der Unterricht macht Spaß und findet in einer familiären Atmosphäre statt. In der Zhen Wu spielen Kungfu-Stile eine untergeordnete Rolle. Es geht darum, dass sich jeder verbessert und an den Unterrichtsgegenständen wächst. All das ist uneitel, effizient und sympathisch. Darüber hinaus ist das Curriculum, das ich über die Jahre gelernt habe, natürlich auch einzigartig und lässt sich am besten in der Zhen Wu weiterentwickeln. Viele Aspekte unserer Unterrichts sind sehr selten zu finden. Das gilt für unseren TangLang-Stil ebenso wie für das Taiji und das Tongbei sowie das Qigong.   

5. Gab es einen besonderen Moment in Deinem „Gong Fu Leben“ an den Du immer wieder zurück denken magst?
Es ist fast unmöglich, einen besonderen Moment auszuwählen. Natürlich könnte ich von den spannenden Seminaren und Trainingscamps berichten, über einzelne knochenharte Trainingseinheiten, an denen man mehr geschafft hat als gedacht, oder auch von Turnieren und Prüfungen, aber ich wüsste nicht recht auszuwählen. Ich möchte stattdessen lieber drei Phänomene nennen, die mich immer begleitet haben: 

1. Die wichtigsten Momente stellen sich eigentlich immer dann ein, wenn man über sich selbst hinauswächst. Ich erinnere mich an ein Sandaturnier, das ich nicht einmal gewonnen habe, über das ich aber von der Vorbereitung bis zur lehrreichen Niederlage im zweiten Kampf voll und ganz zufrieden war. Verblüffende Momente aus den Seminaren mit sehr guten Lehrern begleiten mich häufig. Zum einen habe ich das Überschreiten körperlicher Grenzen vor Augen, zum anderen die Faszination, wie sehr sich die eigene Bewegungsqualität dadurch verbessert, dass man solche Leute beobachtet und von ihnen korrigiert wird. Ich würde das so zusammenfassen, dass die Begegnungen mit Leuten, die ihr Handwerk deutlich besser verstehen als ich, auf der Matte oder in Seminaren oder im Unterricht, oft einen besonderen Charakter hatten.
2. Besondere Freude gab es auch immer wieder beim eigenen Unterrichten: Wenn jemand etwas verstanden und sich über die eigenen Grenzen hinaus weiterentwickelt hat, war ich immer dankbar, das begleiten zu dürfen.
3. Mit manchen Kungfu-Geschwistern, die auf einem ähnlichen Level waren wie ich und mit denen ich viel trainiert habe, gewann das gemeinsame Üben eine besondere Qualität. Das waren wertvolle Stunden über das reine Gongfu hinaus. Man lernte sich auf Ebenen kennen, auf denen man den meisten Menschen im Leben nicht begegnet. Dabei lernt man auch viel über sich selbst. 

6. Wie meinst Du, hast Du es geschafft, ein „Fortgeschrittener“ Schüler zu werden? 
Ich bin gar nicht so sicher, nach welchen Maßstäben ich wirklich fortgeschritten bin. Ich bin mit vollem Herzen dabei und das schon etwas länger als viele, aber auch noch nicht so lange wie viele andere. Das ist alles.
Ich glaube, damit ist auch das wichtigste ausgedrückt. Es kommt nicht auf Talent, besondere Fähigkeiten, Turniererfolge, Muskeln und Fitness an. Das einzige, was auf lange Sicht im Gongfu von Bedeutung ist, sind Beständigkeit und Begeisterung. Wenn man mit Freude über viele Jahre trainiert und an sich arbeitet, wird man besser werden.

Gongfu ist heute ein Angebot für alle Menschen. Aber auf eine gewisse Weise ist es auch eine ziemlich langweilige und Disziplin fordernde Angelegenheit. Wer begeistert sich schon dafür, Stunden in tiefen Stellungen zu verbringen oder 1000 Mal einen Arm zu kreisen? Also sind von all den Menschen, die sich auf die Gongfu-Reise überhaupt begeben, nach zwei Jahren sehr viel weniger da als zu beginn. Es zählt, dabei zu bleiben.     

7. Was sind Deine Ziele für die Zukunft? 
Die Antwort ergibt sich aus dem zuvor gesagten: Unbedingt dabei bleiben, egal, wie sehr der Alltag dem auch entgegenstehen mag
Sehr gerne würde ich auch wieder häufiger trainieren, und gerne öfter anwendungsbezogen mit Partnerinnen und Partnern. 
Eine tiefere Durchdringung gerade des Formentrainings im Blick auf den Transfer von Bewegung/Prinzip und Anwendung wäre mir mittelfristig wichtig. Da ist mir das eine oder andere noch unklarer als ich zugeben sollte.

8. Gibt es Dinge die Du in der Zhen Wu vermisst? 
Dadurch, dass ich nicht mehr in Osnabrück wohne und so viele andere Verpflichtungen habe, ist es eher die Zhen Wu, die ich vermisse.

9. Was würdest Du einem Anfänger in der Zhen Wu gerne mit auf den Weg geben?
1. Auf Shifu hören: Gongfu lernt man zuerst durch Nachahmung. Euer Lehrer will euch fördern. Ihr könnt ihm vertrauen, auch wenn er streng ist. Kritik und strenge, quälende Übungen sind ein Zeichen dafür, dass eurem Lehrer an eurem Fortschritt liegt. Sorgen machen müsst ihr euch, wenn ihr nicht kritisiert werdet.  

2. Es braucht eine richtige Mischung aus Begeisterung und Disziplin im Gongfu. Nicht immer ist man motiviert zum Training. Das macht nichts. Mit Disziplin geht man trotzdem hin. Aber wenn das Herz fehlt, dann geht man langfristig in die falsche Richtung. 

3. Euer Ziel beim Training sollte es sein, besser zu werden, aber nicht perfekt. Fortschritt in kleinen, manchmal ganz kleinen Etappen!

4. Shifu zeigt euch Gongfu, aber die Voraussetzungen dafür zu schaffen, ist eure Aufgabe: Geht zum Training, übt zu Hause, haltet euch fit und gesund.

5. Es ist wichtig, auch daheim über die Trainingsinhalte nachzudenken und mit ihnen zu arbeiten.

6. Das Üben muss euch mittelfristig dahin bringen, dass die Bewegungen nicht nur effizient sind, sondern Spaß machen und sich gut anfühlen. Sonst läuft etwas falsch.

7. Gongfu ist nichts für Ungeduldige. Es passt daher in gewisser Weise nicht in unsere schnelllebige Zeit und ist gerade darum für sie so wichtig. Es ist unvermeidlich, dass sich euer Gongfu phasenweise sehr langsam entwickelt. Lasst euch nicht entmutigen und macht euch nicht zu viel Druck. 

8. Nicht immer nur auf Shifu hören: Es ist wichtig, dass Ihr das Gongfu zu eurem Gongfu macht. Dazu braucht es Fluss, Freiheit, Inspiration von außen und Raum, euch selbst in den Bewegungen Auszudrücken. Das macht aus Kampf- und Gesundheitsübungen Kunst.

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