Tags drauf traf die Taiwan Delegation mit Master Wang ein, der extrem höflich und zuvorkommend behandelt wurde. Für jemanden wie mich, dem das Respektverhalten der Chinesen gänzlich unbekannt war, fand ich es zunächst übertrieben einen Unbekannten derartig in den Himmel zu tragen. Allerdings habe ich im Laufe der Zeit sein unglaubliches Können bewundern dürfen, auch wenn ich nicht bei ihm Unterricht hatte. Offensichtlich mag der Mann Publikum. Es scheint wie ein Filmtrick, wenn er mit Leichtigkeit seine Schüler 15 m weit schubst und danach verschmitzt lacht. Daher gebürt diesem Mann wirklich der höchstmögliche Respekt, erst recht, weil er bereitwillig seine Erfahrung und Können weitergibt.
Die ersten kulinarischen Erfahrungen wurden gemacht. Ich hatte mir vorgenommen alles zu probieren. Nachdem mich Tofu mehrmals aufs Kreuz gelegt hatte, verlor ich das Interesse. Hühnerfüße, Schnecken und seltsame Meeresbewohner schmecken mit geschlossenen Augen gar nicht eklig. Seetang z.B. mit Knoblauch ein Traum!
Schließlich ging das Training los. 10 Tage am Stück bei fröhlichen 35°C. Meistens war die Sonne hinter dicken Schwaden versteckt, kam sie aber einmal hervor wurde es unerträglich heiß. Morgens begann der Tag um 6 Uhr mit QiGong von Mike und Zhang Laoshi. Nach dem Frühstück dann 3 Stunden Taiji. Insgesamt waren wir wohl so an die 50 Schüler, so dass wir in verschiedenen Gruppen aufgeteilt unterschiedliche Sachen gelernt haben. Ich war mit meinen Lehrern sehr zufrieden. Jia Laoshi als Gruppenchef hat zwar meist nur rauchend daneben gesessen, uns beobachtet und verbessernde Kommentare gegeben. Die meiste Arbeit hatte Wang Shu-Ping, eine energische strenge Frau, die nur das Beste abverlangte, aber dennoch ungemein herzlich sein konnte. Ich habe sie sehr ins Herz geschlossen. Bei ihr habe ich dann neben der 42er Form auch die „Waffe“ Fächer gelernt, was mir am Tag doch am meisten Spaß gemacht hat, wenn ich ehrlich bin. Immerhin war es das Unbekannteste von allen neuen Sachen, die es zu lernen galt. Taiji ist nach wie vor nicht mein Lieblingsgebiet. Ganz im Gegensatz zum Ziel sich diszipliniert zu entspannen hat es mich teilweise aggressiv und verkrampft gemacht. Frau Wang ging es auch viel mehr darum eine Performance einzuüben, statt uns Taiji näher zu bringen. Mein Licht nach dem Taiji war dann immer der Fächer. Ihre Assistentin Stella oder Hu Ya-Li konnte zum Teil englisch und übersetzte. Frau Wang war aber auch so recht einfaltsreich, malte mit Steinen auf den Boden oder zeigte mit wilden Gesten. In einem Anflug von überschwenglicher Sympathie gab Wang Shu-Ping uns allen ihre Adresse und bat um einen Besuch. Wir könnten jederzeit vorbeikommen, unterricht nehmen oder anrufen. Es war eine unbeschreibliche Ehre! Ihre Adresse hat nun mein Tagebuch ungemein wertvoll gemacht, obwohl ich glaube, dass ihre Sauklaue selbst der Taxifaher nicht entziffern kann. Aus Erherbietung und Respekt habe ich ihr meine Adresse feierlich mit einer Verbeugung überreicht und sie natürlich nach Deutschland eingeladen. Ich würde den Chinesen tatsächlich gerne unsere westliche Welt zeigen, damit das Verständnis besser wird. Das war einer der schönsten Tage, wenn es unter den grandiosen Erlebnissen eine Wertigkeit gäbe.
Zumindest für alle, welche nicht bei Wang Shu-Ping Unterricht hatten, gab es eine 3 stündige Mittagspause. Sie aber hängte grundsätzlich 1 Stunde dran, wo andere selig im klimatisierten Bett liegen konnten. Sie gab ihr Bestes und wollte das Beste. Nach einem erfüllten Mittagessen in unserem Privatrestaurant abseits der übrigen Hotelgäste wurde uns dann auch endlich Zeit zum Verschnaufen gegeben. Der Tag ging dann mit den jeweils gewählten Stilen weiter. Ich war mit Dennis in der TongBei-Gruppe und wurde von Zhang Laoshi unterrichtet, der ja auch schon mal in Deutschland zum Zweihandsäbel-Seminar bei uns war. Damals von englisch keinen blassen Schimmer, hat er sich nun viel Mühe gegeben bis zum Trainingscamp die Sprache zu lernen. Die Verständigung war trotzdem schwierig. Zum Glück war sein deutscher Schüler Stefan, der in Peking lebt, als Übersetzer dabei. Schön war es auch mit Stefan in deutsch über seine Erfahrungen des chinesischen Alltags zu quatschen. Aber auch Zhang hat gerne aus dem Nähkästchen geplaudert und uns möglichst viel erklärt.
Manche Übungen aus dem TongBei waren bereits bekannt, besonders die JiBenGong-Übungen (wie schreibt man das?). Die Übungen waren an sich nicht schwer, dennoch schwierig sie richtig zu machen. Manchmal haben wir Stunden nur eine Übung gemacht. Am Ende war ich ziemlich frustriert, weil ich nicht erkennen konnte, ob ich auf dem (richtigen?) Weg ein paar Zentimeter weiter gekommen war. Zhang hat meiner Meinung nach wenig korrigiert, meist nur die, welche gute Ansätze zeigten. Dennis gehörte wohl verdient zu den Spitzenleuten. Er hat mir manchmal ein paar Kniffe gezeigt oder erklärt. Ansonsten fand ich den Unterricht recht unstrukturiert. Jeder hat für sich mehr oder weniger geübt, das worauf er gerade Lust hatte. Manchmal hat Zhang dann eine neue Übung gezeigt, aber oftmals wusste ich nicht, ob das nun für alle galt, oder nur denen, welchen er es gezeigt hatte. Meistens habe ich einfach abgeguckt, um mehr Abwechslung zu bekommen.
Abends sind wir zum Shop um Kanisterweise Wasser zu kaufen, Duschen, Essen und um danach wie tot ins Bett zufallen.
Nach den Trainingstagen hat jede Gruppe ihr Gelerntes vorgeführt. Danach durften wir für die restlichen Tage Touristen sein. Zuerst besichtigten wir den Sommerpalast, Tian’anmen Square, die verbotene Stadt, Temple of Heaven und natürlich die Mauer. Bei all diesen Tourifallen hab ich vor lauter Menschen kaum was gesehen. Mr. Hoo, unser Tourguide war zum Lachen. Sein englisch kombiniert mit 3 Wolldecken im Mund, hat für viel Erheiterung gesorgt. Zudem hat er alles 3x wiederholt, das es einem juckte mit Absicht genau das Gegenteil zu tun.
Abends nach den Sehenswürdigkeiten gab es immer Luxusessen. Das ging ganz schön ins Geld und hat den Urlaub enorm verteuert. Hinzu kamen diverse Entertainmentprogramme wie Pekingoper, Magie, Akrobatik und KungFu. Aber es war das Geld auf jeden Fall wert, wir hatten viel Spaß! Besonders gut gefallen hat mir das Schattentheater. Es ist wirklich erstaunlich was man mit Händen und Stimme alles schafft!
Der letzte Tag stand schließlich zur freien Verfügung. Ich bin mit meinen Lieblingsleuten zu einem WuShu-Shop gefahren und hab fett eingekauft. Besonders Schwerter natürlich, die man dort wirklich hinterher geschmissen bekommt, bei guter Qualität wohlgemerkt. Mit Bus, Taxi oder noch schlimmer mit dem Rad zu fahren grenzt in Beijing an Selbstmord. Denn Straßenregeln scheint es keine zu geben. Jeder fährt wie es ihm beliebt, immer mit einem beherzten Hupen. Der Stärkere gewinnt, so ist es üblich, dass Busse und Laster Autos bei mangelnder Vorsicht platt fahren und die Radfahrer und Fußgänger um ihr Leben laufen müssen. Bremsen besitzen chinesische Wagen nicht. Blinker auch nicht. Und ein Wagen kann auch nur fahren, wenn die Hupe funktioniert. Auch das ein unvergessliches Erlebnis!!
Tja, und schon hieß es Koffer packen. Ich war doch wirklich traurig, auch jetzt wo ich zu Hause bin. Ich vermisse die strenge Taiji-Lehrerin, die angenehme Hitze und die dreckige Luft. Es überrascht mir selber, aber es ist so. Diese Reise war das Beste, was mir hätte passieren können. Es war eine großartige Erfahrung, eine Ehre, all die faszinierenden Meister kennen zu lernen, eine Freude so viele Martial Arts begeisterte nette Leute kennen zu lernen und China real zu erleben. Ein Traum wurde wahr und hat gleich einen neuen geweckt: Ich muss noch mal hin!!