Die Etikette in den traditionellen Kung Fu Stilen, bzw Familien, ist für Europäer nicht immer leicht zu verstehen. Noch schwieriger wird es sogar, sich immer daran zu halten. Es geht auch nicht so sehr darum, die richtige Verhaltensweise zu dogmatisieren und den Lehrer zum unantastbaren Guru zu erheben. Dennoch halte ich es für einige eventuell nützlich, einmal sehr grundlegende Regeln zu beschreiben.
Anrede: ist es in China durchweg üblich den Lehrer mit Laoshi (oder Shifu) anzusprechen, wird in Europa eher der Vorname gewählt. Dem ist auch nichts entgegen zu setzen, da wir in unserer Kultur dies als durchaus nicht respektlos sehen und so die Ansprache mit Laoshi oder Shifu eher bei bestimmten Riten (Angrüßen etc) zu wählen ist. Doch auch bei der Ansprache mit dem Vornahmen ist es wichtig, die Art und Weise wie angesprochen wird und die damit verbundene Gestik und Mimik zu beachten. Ein Lehrer sollte in der Öffenlichkeit immer mit höflichem Ton angesprochen werden. Kumpelhafte oder zu intime Ansprache ist unangebracht. Ebenso sollte jederzeit auf zu starke emotionale Prägung des Tones verzichtet werden (zB. gereizter Unterton, zu euphorisches Rumgehopse etc). Dazu zählt auch die Mimik. Sie sollte freundlich und offen sein. Berührungen sind ebenso zu vermeiden. Es sei denn, sie gehen vom Lehrer aus oder wurden zu früheren Zeitpunkten explizit akzeptiert. Besteht eine langjährige Vertrautheit, ist eine Umarmung als Begrüßung zB durchaus korrekt. Bei formellen Anlässen jedoch ist wiederum die traditionelle offene Hand/Faust Begrüßung zu wählen. Ist man sich unsicher, ist ein knappes Andeuten einer Verbeugung etwas, mit dem man nichts Falsch machen kann.
Umgangsformen: Auch hier ist das richtige Mass wichtig. Es geht nicht um eine übermäßige Ehrerbietung und erfurchtsvolle Zurückhaltung, sondern um die höfliche Anzeige von Respekt gegenüber dem Lehrer. Dazu sollte man bei Ansprache den richtigen Moment abwarten, kein Gespräch oder eine Instruktion unterbrechen. Zuerst Augenkontakt herstellen und dann mit einer knappen Verbeugung anzeigen, dass man etwas sagen möchte. Dabei in höflicher Distanz verbleiben. Nichts ist unhöflicher, als durch den ganzen Raum zu rufen oder dem Lehrer ins Ohr zu flüstern. Eine gute Armlänge an Distanz bei einem Gespräch mit dem Lehrer ist ein gutes Mass. Antwortet der Lehrer, sollte man aufmerksam zuhören und den Ausführungen folgen. Blickkontakt ist zu halten. Nichts ist unhöflicher, als zwischendurch mit den Augen anderen Personen oder Dingen zu folgen. Auch sollte man den Lehrer nicht unterbrechen oder sich, sollte der Lehrer unterbrechen, das Wort zurück erkämpfen. Kämpfe sind generell nur auf Einladung des Lehrers zu begehen. 😉 Schliesslich sind noch viele Dinge im Alltag relevant, wie Dinge für den Lehrer erledigen, Koffer tragen, Tee eingießen, beim Essen nicht vor dem Lehrer beginnen etc pp. Dies würde allerdings den Rahmen hier sprengen und sollte einmal mit forgeschrittenen Schülern oder dem Lehrer selbst besprochen werden.
Besonderheiten: zu guter Letzt möchte ich auf einige Besonderheiten zu sprechen kommen. Zuerst wäre hier das Verhalten in Trainingssituationen zu nennen. Gibt der Lehrer Training, ist die meist mit oben genannten Regeln schon gut zu meistern. Ergänzend wäre noch zu nennen, dass es extrem ungebührlich ist, den Lehrer durch Taten oder Worte in der Gruppe zu hinterfragen oder nicht ernst zu nehmen. Dies beinhaltet auch das Herausfordern von Fähigkeiten des Lehrers. Sollten dazu Zweifel oder Fragen bestehen, so ist fast jeder Lehrer bereit dies nach dem Training unter vier Augen zu besprechen. Aber eine Trainingssituation unnötig emotional aufzuladen mit solchen Verhalten ist unnötig und verschlechtert oft die Trainingsatmosphäre.
Trainiert der Lehrer gar für sich alleine, ist es unhöflich sich unaufgefordert zu nähern oder gar mit zu trainieren. Die Höflichkeit gebietet es, eine Distanz zu halten und keine übermäßige Neugierde zu zeigen. Umgekehrt verlässt man allerdings auch nicht den Raum oder Platz, wenn der Lehrer sich zum eigenen Training dazu gesellt. Man führt die Trainingsaktivität (unterbrochen von einem höflichen Gruss) fort, bis der Lehrer evtl. zu etwas anderem auffordert. Auf keinen Fall lässt man den Lehrer alleine stehen oder fordert ihn auf etwas zu korrigieren oder anderes zu zeigen, zu tun.
Weiterhin ist die Unterscheidung ob der Lehrer fernöstlicher Herkunft oder Westlicher Herkunft ist, nicht immer ganz ohne Problematik . Gibt es bei den meisten Dingen keinen Grund einen Unterschied zu machen, Lehrer ist schliesslich Lehrer und wir bewegen uns hier in den traditionellen Kampfkünsten, sind zB Ansprache oder gewisse andere Verhaltensregeln eben doch auf die Herkunft anzupassen. Faustregel sollte sein: der respektvolle Umgang mit dem Lehrer ist von dessen Nationalität unabhängig.
Ein unbequemer und heikler Punkt sind die Finanzen. Man spricht nicht gerne darüber. Dennoch gibt es auch hier einige Punkte, die man wissen sollte. Als Schüler habe ich eine Verantwortung für meinen Lehrer zu sorgen. Dies darf nicht den eigenen finanziellen Rahmen sprengen. Aber es darf auch nicht die finanzielle Absicht des Lehrers negativ bewertet werden. Kann ich mit Teilnahme und Bezahlung von Seminaren und Extratrainings den Lehrer unterstützen, sollte ich dies ohne zu zögern tun. Geld dem Lehrer zu schulden, sollte einfach nie vorkommen. Wenn es doch mal passiert, ist dieser Umstand möglichst schnell zu begleichen. (Faustregel: lieber bei einem Kung Fu Bruder/Schwester in der Kreide stehen, als bei seinem Lehrer!). Aus diesem Grund sollte ich auch nie über Preise mit dem Lehrer handeln. Wenn ich dann Geld überreiche, dann immer mit beiden Händen gleichzeitig und möglichst in einem Umschlag. Dies findet zwar im europäischen Alltag fast nie Anwendung, sollte aber im Kontakt mit chinesischen Lehrern unbedingt beachtet werden. Wenn der Lehrer selber Geld oder ein Geschenk zurückweist, ist es ihm immer mehrmals anzubieten. Erst nach der dritten Zurückweisung, ist die Absicht wirklich so gemeint. Bietet man nur ein einziges Mal an, ist dies sehr unhöflich.
Schliesslich komme ich zu der Besonderheit des Stammbaumes oder der Lehrerhistorie. Wenn ein Schüler sich einmal für einen Lehrer entschieden hat und Jahre bei ihm lernt, so sollte er dies auch anerkennen. Egal was und wie viel ich bei einem Lehrer lerne, er teilt sein Wissen, seine Zeit und Energie mit mir. Das sich die Wege von Schüler und Lehrer auch trennen können, habe ich an anderer Stelle im Blog schon erwähnt. (Hier) Dennoch sollte der Lehrer auch in Zukunft respektiert werden. Sowohl bei einem persönlichen Treffen, als auch zB auf öffentlichen Medien wie Internetseiten, Büchern oder auch nur Flyern. Die Nichtnennung eines Lehrers in diesen Medien ist eine große Unhöflichkeit und Nichtachtung der Arbeit, die dieser sich für die Ausbildung gemacht hat. Die Umstände der Trennung sind dabei nicht weiter relevant. Eine Ausnahme bildet der explizite Wunsch des Lehrers, nicht vom Schüler genannt zu werden. Wenn es erst keine Trennung gegeben hat, so ist es noch selbstverständlicher, dass ich meinen Lehrer an möglichst vielen Stellen nenne und auf ihn aufmerksam mache. Ich kümmere mich eben auch um seine Reputation und lasse keinen Zweifel daran, dass ich ihn Respektiere.
Dieser kurze Artikel gibt nur einige wenige aber wichtige Aspekte wieder und erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit oder einzige Wahrheit. Viele Kung Fu Familien sehen die Umgangsformen sicherlich strenger und umfassender an. Allerdings denke ich, dass diese genannten Aspekte schon eine gute Richtschnur sein können.