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Nachbetrachtung Beijing Camp 2013 – von Stephan Panning

Es liegen nun zwei Wochen Kungfu in Beijing hinter mir. Was soll ich nun berichten? Die Stile, die Techniken, die Lehrer, die anderen `Mitstreiter´? Es war auf jeden Fall eine besondere Erfahrung: 7 Stunden Training am Tag, nach 3 Tagen spürte ich den sich ausbreitenden Muskelkater, auch eine gewisse Müdigkeit. Da war ich froh, dass ein `sight-seeing Tag´ folgte. Danach war ich aber auch wieder froh, weiter trainieren zu können, denn das Besichtigen hat für mich nicht gerade etwas Erfüllendes.


Dennoch: Die entscheidende Frage kam bei mir eigentlich erst so gegen Ende des Camps auf. Warum mache ich eigentlich Taiji, Tongbei? Wo wende ich das gelernte an? Was bedeutet das für mich? Es geht ja erstmal um `Kämpfen´. Aber: Kämpfen wann? Wo? Mit bzw. gegen wen? Mit Murat aus Prag habe ich über diese Frage gesprochen. Er sagte, dass diese Formen der Selbstverteidigung in Zeiten entstanden sind, wo es noch keine öffentliche Sicherheit durch Polizei u.ä. gab. Heute leben wir ja relativ sicher, wir brauchen uns nicht regelmäßig gegen irgendwelche Räuberbanden verteidigen.

Zwischendurch `flakkerte´ im Rahmen des CAmps auch durch, dass es bei Kungfu nicht nur um die Techniken, sondern um mehr geht, um eine Entwicklung der ganzen Persönlichkeit, um Natürlichkeit (Zhang Laoshi betont ja immer wieder die Natürlichkeit des Tongbei) um Einheit mit dem Kosmos – also quasi um eine grundsätzliche Lebenseinstellung geht. Dies kam mir persönlich doch etwas kurz, es ging ja vorwiegend um Techniken. Interessant fand ich der HInweis von Sun Laoshi am Ende des Camps: Wendet das Gelernte nicht auf der STrasse an. Der Sinn des Kungfu liegt im Vermeiden des Kampfes. Und in diesem ZUsammenhang ist noch eine Begebenheit interessant: Einer der Schüler von Zhang ließ sich eines Abends im Hotel vom einem betrunkenen Chinesen provozieren. Es entwickelte sich ein Wortgefecht, in dessen Verlauf der Betrunkene näher kam, mit dem Finger auf ihn zeigte. Es ging – wie wir es alle kennen – hin und her, und plötzlich ging es sehr schnell. Mit einigen blitzschnellen
Aktionen hatte der Schüler den Betrunkenen zu Boden gerungen ihm sogar noch einen Stoß versetzt. Ist das nun Anwendung des Gelernten oder genau das Gegenteil. Fünf Minuten später kam Zhang vorbei. Er sprach ebenfalls mit dem jetzt sehr aufgebrachten Betrunkenen, ließ sich aber nicht provozieren, er blieb ganz ruhig, gelassen. Die Situation entschärfte sich, Zhang ging mit den Betrunkenen weg.
Für mich ist durch diese Begebenheit klar geworden: Kampfkunsttechniken körperlich anzuwenden, das ist nicht die eigentliche Herausforderung, das kann mit Übung beinahe jeder. Ich kann über Jahr fleißig trainieren, ein hohes Level erreichen hinsichtlich der Umsetzung aller körperlichen Prinzipien. Aber: Bin ich persönlich wirklich weiter gekommen? Ich kann ja mein Ego damit wunderbar stärken, werde bewundert, angesehen, gelobt. Wird das Ego jedoch verbal angegriffen, offenbart sich die Verletzbarkeit, die Schwäche meiner ´inneren Situation´, und ich muss mich mit harten Waffen (die ich beherrsche) wehren. Ich habe mich nur äußerlich gestählt, das Innere blieb schwach. Entscheidend für eine ganzheitliche Kampfkunst ist doch, innere Ruhe, Souveränität, Achtsamkeit, Gelassenheit zu kultivieren und in den alltäglichen `Kämpfen des Lebens´ anzuwenden. Dann passen doch Äußeres und Inneres zusammen, ergänzen sich – wie im Taiji-Symbol.

Jochen Wolfgramm

Jochen Wolfgramm Geboren am 25. Mai 1965, studierte erst in Münster Philosophie, Sinologie und Germanistik, beendete 1998 seine Ausbildung zum Physiotherapeuten (Sportphysiotherapeut seit 2000) und arbeitet seitdem in diesem Beruf. Seit 1989 betreibt er Gong Fu. Erst Qi Xing Tang Lang und Taiji Quan, jetzt Babu Tang Lang, Tong Bei Quan und Taiji Quan.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. fab

    sehr interessante ideen. ich denke dass viele aspekte zutreffen, wir kämpfen mit uns selbst und mit ideen. aber ich denke dass der aspekt sich “ sicherer“ zu fühlen wichtig ist. was ich selbst durch mein training merke dass sich eben nicht nur die art mit seinem körper umzugehen ändert auch der geist klärt sich, die “ aggression“ auf der strasse kann auch hin genommen werden ohne sich hart zu machen und darauf einzugehen.
    f

  2. Bailung e.V.

    Mirjana hat das Camp so erlebt:

    Zhen Wu Martial Arts Training Camp 2013 in Beijing

    Mirjana Nordmann

    Nun bin ich seit zwei Wochen zurück aus Beijing und möchte kurz erzählen wie ich das diesjährige Zhen Wu Trainingscamp erlebt habe.

    Am Sonntag erreichte ich nach einer langen Anreise gemeinsam mit Stephan das Dragon Spring Hotel in Mentougou, wo wir herzlich von Zhang Laoshi begrüßt wurden. Nach einem Tag der Eingewöhnung und einem Besuch des Sommerpalastes begann dann am Dienstag offiziell das Trainingscamp mit morgendlichem Qi Gong für alle Teilnehmer unter Leitung von Zhang Laoshi. Nach einem ausführlichen Frühstück unterrichtete dann zum einen Yu Laoshi Xing Yi und zum anderen Zhang Laoshi Tong Bei.
    Im Tong Bei Training wurden einige Grundtechniken und ihre Anwendungen ausführlich geübt. Begleitet von viel Theorie kamen nach und nach neue Übungen hinzu und Zhang Laoshi betonte immer wieder, wie wichtig es ist, sich über einen längeren Zeitraum mit nur einer Übung oder Technik intensiv auseinanderzusetzen und diese zu verbessern. So wurde mir bereits in den ersten Tagen klar, was ich persönlich in den nächsten Wochen und Monaten verbessern sollte und wie wichtig es ist, in den Grenzen seines bereits erworbenen „Könnens“ zu trainieren und nicht anderen weiter Fortgeschrittenen nachzueifern und krampfhaft „mithalten“ zu wollen.

    Nach dem täglichen Tong Bei Training folgte für mich Ba Gua, unterrichtet von Sun Laoshi. Als Bagua-Anfänger fühlte ich mich zwischenzeitlich ein wenig überfordert, da das Tempo sehr hoch war und täglich ein neues Set von 8 aufeinanderfolgenden Bewegungen der „64 Hände des Bagua Zhang“ unterrichtet wurde. Große Unterstützung bei meinen ersten Bagua-Gehversuchen bekam ich täglich von Andy und Markus, die sich geduldig im Zeitlupentempo vor mir her bewegten, wodurch ich letztendlich sehr viel Spaß an diesem Training hatte. Nicht zu vergessen Sun Laoshi, der viel Wert darauf legte, dass die jeweiligen Anwendungen der Bewegungen von jedem verstanden wurden und der sich täglich die Zeit nahm, diese mit jedem persönlich zu üben, egal ob Anfänger oder Fortgeschrittener. Auch er betonte mehr als einmal, dass es nicht darauf ankommt, ob wir uns eine komplette Form merken können oder nicht, sondern dass es wichtig ist die einzelnen Techniken stetig zu verbessern.

    An den Nachmittagen wurden dann Miao Dao und Schwert unterrichtet. So lernte ich die Schwertform Liu He Jian bei Li Laoshi. Nach bereits vier Trainingstagen hatten wir den kompletten Ablauf der Schwertform gelernt, wodurch viel Zeit für Wiederholungen und Korrekturen blieb. Wie auch den anderen Lehrern war es Li Laoshi sehr wichtig, dass die verschiedenen Stellungen korrekt ausgeführt wurden und wir tief genug standen. Mit seinem ausgeprägten Humor sorgte er nicht zuletzt beim Unterrichten der Schwert-Partneranwendungen für viel Spaß und eine ausgelassene Stimmung.

    Nach 10 Tagen Training, ging das Camp mit abschließenden Vorführungen zu Ende. Alle Teilnehmer zeigten an diesem Tag die Formen und Techniken die sie in den letzten Wochen gelernt hatten vor den „kritischen Blicken“ der geladenen Gäste (Zhang Laoshi’s Lehrer, einige Kung Fu Brüder und Schüler), welche zum Abschluss selbst noch ein paar Tong Bei Techniken zum Besten gaben.

    Was habe ich nun eigentlich mitgenommen aus diesem Trainingscamp neben vielen neuen Eindrücken und Erfahrungen? Warum fährt man nach China und trainiert 8 Stunden täglich für 10 Tage bei hohen Temperaturen, hoher Luftfeuchtigkeit und zeitweise „dicker“ Luft? Ich wurde ein paar Mal gefragt, ob ich nicht unglaublichen Muskelkater durch so intensives Training bekomme und ob das wirklich mein Sommerurlaub ist.
    Und ja: „Das war mein Urlaub!“ und natürlich hat man irgendwann Muskelkater und verspürt eine körperliche Erschöpfung, was aber auch ein gutes Gefühl sein kann, weil man einmal den ganzen Tag das tun kann, was man am liebsten macht. So wie es in einem Urlaub sein sollte. Ich denke es ist die Atmosphäre, die das Kung Fu Training hier so besonders macht. Man wird nicht einmal bemerkt, wenn man beim Gedanken an das morgendliche Tong Bei Training auf der Straße noch ein paar Mal die Arme kreist. Es gehört einfach zum alltäglichen Bild, dass die Leute gemeinsam im Park, unter Brücken oder an der Hauptstraße z.B. Taiji üben, tanzen oder singen, was mich irgendwie beeindruckt hat. Alles in allem war es ein sehr gut organisiertes Trainingscamp mit Leuten unterschiedlichster Charaktere, intensivem Training und geselligen Abenden mit vielen schönen Gesprächen und dem Austausch über Kung Fu in einer Stadt wie sie kontrastreicher wohl nicht sein kann.

  3. Stanislav

    Ein sehr inspirierender Beitrag, ich habe ihn förmlich aufgesogen! 😉
    Ich habe mir nämlich auch schon die gleiche Frage gestellt: Warum lerne ich zu kämpfen? Was bringt mir das für mein Leben? Ich habe für mich noch keine entgültige Antwort gefunden, aber ich bin mir einfach ganz sicher, dass eine Kampfkunst mehr ist als die Summe ihrer Techniken. Und deine Schilderung dieses Vorfalls mit dem Betrunkenen, finde ich sehr anschaulich.

    Während ich deine Schlussworte gelesen habe, musste ich an eine Szene aus „Fearless“ denken. Dort unterhalten sich bei einem Tee der Protagonist (ein chinesischer Meister) und ein japanischer Meister über den Unterschied zwischen Kampfkünsten. Dabei führt der japanische Meister das Gespräch scheinbar in eine Sackgasse und stellt die Frage: „Wenn alle Kampfkünste im Grunde gleich sind, warum kämpfen wir dann gegeneinander?“ Und der chinesische Meister antwortet: „[…] in einem Wettbewerb entdecken wir uns selbst.“

    Na gut, das ist ein Film und wir kämpfen auch nicht säntig miteinander, aber ist Training selbst nicht ein Kampf? Ein ständiger Kampf mit sich selbst? Also ich empfinde ihn auf jeden Fall so. Im Alltag unterliegen wir nur zu gerne uns selbst: Faulheit, Ärger, Müdigkeit, Achtlosigkeit, Schlampigkeit und vor allem (wie du schon gesagt hast) Ego. Aber wenn man gut kämpfen will, muss man stärker und besser sein als das Ich, das man gerade ist … Man muss sine Müdigkeit und sein Ego überwinden, Ablenkungen abwenden, Mitschüler und Lehrer respektieren, sich in Demut und Hilfsbereitschaft üben … Auch wenn wir es nicht mehr nötig haben uns auf der Straße körperlich zu verteidigen, so ist der innere Kampf immer noch der gleiche. So ist zumindest mein Eindruck bisher.

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