Sifu, Sonntag 17.08.2008

In unserem Forum habe ich mit folgender Frage eine interessante Diskussion losgetreten, die ich hier in Auszügen mal wiedergeben möchte. Evtl. regt es ja den einen oder anderen zum Nachdenken an ;):
Wieso sieht ein Stil (7* Mantis, Yang Taiji etc) nicht immer gleich aus?
Warum gibt es Unterschiede in den verschiedenen Gruppen, Familien, die den gleichen Stil machen?

Folgende Antworten, Beiträge gab es dazu:

Janine: meiner meinung nach sind die stile schon ähnlich (wenn auch nicht gleich). immerhin gibt der menschliche körper eine gewisse motorik vor. aber in den feinheiten gibt es dann doch eben unterschiede. hier denke ich, dass jeder auf seinem eigenen weg nach perfektion andere bewegungen findet, je nach erleuchtungsstufe sag ich jetzt mal. manche sind auch auf dem falschen weg, haben die philosophie vielleicht zu wenig verstanden oder gehen mit den falschen gedanken an die sache heran.

aber was ist richtig und was ist falsch? und wer hat das recht zu entscheiden? da kann man ganz schnell vom thema abkommen….

das ziel ist aber doch überall dasselbe und damit auch das fundament und die grundlagen.

Michael:Ich verstehe es so:
Vergleichbare Stile gleichen sich in ihrem Zweck; dadurch kommt es evtl zu äußerlich vergleichbaren Bewegungsabläufen.
Ihr Unterscheidungsmerkmal sind gewisse Elemente der Methoden, dieses Ziel zu erreichen. Damit meine ich nicht eine Zusammenstellung von Formen oder Techniken, sondern (relativ abstrakte) Betonung bestimmter Aspekte.

Beispiel: Schwerkraft und Gleichzeitigkeit sind in allen Stilen relevante Aspekte von Technik und Form. Für Tang Lang ist Gleichzeitigkeit = Schnelligkeit Teil dessen was den Stil ausmacht. Bei Schwerkraft würde ich an Hung Gar denken (obwohl ich mir nicht anmaßen will das beurteilen zu können).

Nun zum Kern der Frage:
Jede Technik sieht bei jedem Menschen anders aus, wenn er sie „richtig“ macht (Stichwort „alignment“ – jede Anatomie ist abweichend). Dazu kommt (vor allem bei den äußeren Stilen) sicherlich die Tendenz der Schüler, es auf die Art und Weise des Lehrers zu probieren. So sieht also zwangsläufig erstmal jede Technik bei jedem etwas anders aus; dazu bilden sich möglicherweise „lokale“ eigenheiten durch Nachahmung heraus

Beispiel: Mantisklaue mit 1 oder 2 Finger
Ein bewußt einfaches Beispiel, bei dem kein Zweifel entsteht ob dieser Unterschied den Stil irgendwie verändert. Wenn ich es richtig verstehe ist es mit den anderen Unterschieden aber nicht anders.

Dennis:Das große Stichwort was ich von der „Theoriestunde“ im Training noch so mitgenommen habe, war Evolution. Alles im Leben entwickelt sich weiter, so auch die Kampfkunst, in jedem Stil!
Zu Sifu´s Frage, Warum der Stil einer Familie nicht bei jedem Vertreter gleich aussieht würde ich mit dem Individuum beantworten. Jeder Lehrer ist anders und achtet auf andere Dinge; legt Schwerpunkte anders und hat persönlichen Vorlieben; hat Bewegungen die Ihm liegen oder welche die es eben nicht tuen. Somit macht letztendlich jeder ein bischen seinen eigenen Stil aus dem was er/sie anfänglich gelert hat. Ich denke aber, dass das aber nichts schlechtes ist, sondern ganz im Gegenteil der normale Lauf der Dinge. An einem gewissen Punkt in der „Kampfkunstausbildung“ hat man sein Handwerkszeug gelernt und wird in die Welt hinausgeschickt um damit zu arbeiten… mal blumig gesprochen. Was ich damit schon angedeutet habe ist, dass es verschiedene Phasen in der KK gibt. Am Anfang ist es sehr wichtig Sachen so genau wie möglich nachzumachen, um möglichst viele Details mitzunehmen. Danach kommt dann irgendwann die Phase, in der man anfängt mit dem Werkzeug rumzuspielen und ausprobiert, was man damit sonst noch machen kann oder was man für sich und seinen Körper optimieren kann.
Und da sind wir auch wieder bei der Frage. Ich denke da ist man an einem Punkt, an dem der Lehrer nur noch sagen kann: „Jetzt spiel mit dem Werkzeug! Aber wie kann ich Dir nicht sagen, dass musst Du schon selber machen.“ Ich denke deswegen sieht der gleiche Stil auch innerhalb einer Familie immer anders aus. Ich fände es richtig interessant mal die Schüler von der gleichen Generation mal alle die BengBu laufen zu sehen. Klar würde jeder sagen: „Wir machen es richtig!“ Aber es gibt bei diesem Aspekt kein richtig oder falsch.
Die Evolution greift überall, so denke ich auch, dass Lee Kam Wing auch leichte Veränderungen oder „Optimierungen“ mit reingebracht hat und nicht alles 100% kopiert hat von Chiu Chi Man. Würde jeder nur kopieren und nicht selber weiterentwickeln, dann geht auf kurz oder lang alles verloren, denn es ist unmöglich immer 100% mitzunehmen. Da wären dann noch nicht erwähnte oder nicht gesehene Details und der secret shit, der einfach nicht mit in den Kopierer kommt. So würde dann über die Generationen systematisch alles wissen ausgedünnt!
Somit ist es von einem Lehrer nicht unbedingt förderlich wenn man um alles in der Welt verbietet den Stil zu verändern oder es verurteilt.

So, das war es so grob. Ich weiß nicht ob ich mich an alles erinnern konnte was Sifu alles erzählt hat und zusätzlich steckt da auch noch eine ordentlich Portion eigenen Meinung mit drin.

Nicole:Ich möchte das hier mal ein bisschen ironisch auf die Spitze treiben: Wenn ich im Training von jetzt an Fehler mache, sind es keine Fehler, sondern Weiterentwicklungen!!! Hey, mal sehen, was Nassem dazu sagt, wenn ich ihm erkläre, dass das kein Fehler sondern eine Weiterentwicklung ist. Wie war das „Stillstand ist Tod“? Nun ja, wenn ich Nassem mit der Erkärung komme, ist Weiterentwicklung auch Tod!
Nicht ganz ernstgemeinte Grüße aus Kassel

und

Ich denke, auch beim KungFu muss man sehr genau hinschauen, ob eine Technik nicht schon so wie sie ist, optimal ist. Zu ändern, zu verändern, weiterzuentwickeln kann auch sehr schnell mal ein Schritt zurück sein, wenn man schon nahe oder am Optimum ist (okay, okay, wann ist etwas optimal und wer entscheidet das überhaupt,…?).
Und da es ja zu allem ein passendes Sprichwort oder eine Weisheit gibt: Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Manchmal ist Stillstand – zumindest bei einer Technik/Form/… – vielleicht gar nicht so schlecht. Manchmal muss man die Dinge lange ruhen lassen, bis man wirklich eine gute Idee hat, sie sinnvoll zu verändern.
Wie man lesen kann: Ich bin kein Freund des schnellen Wechsels.

Dazu Nassem: Wu Wei, verändern ohne etwas zuverändern.
ich denke wenn man etwas verändert nur um etwas anders zu machen , macht man was falsch. Das was sich ändert muss sinn ergeben, denn es muss sich ja weiterentwickeln. Ob kung fu nun 1000000 jahre alt ist oder nur 2 wochen , wichtig ist für mich das kung fu jedentag da ist , ob nun im training oder wo anders.
oder anders gesagt. Tradition ist es , das feuer weiter zugeben, nicht die asche anzubeten;)

und Janine:der gedanke ist gar nicht so schlecht! stellt euch folgendes vor: jemand trainiert seit vielen jahren, ist nun auf dem niveau seines meisters und trainiert ab jetzt alleine für sich in den bergen (oder sonst wo). jedenfalls schleichen sich bestimmt kleine fehler über die jahre hin ein, die derjenige gar nicht bemerkt. und wenn der alte meister nach 10 jahren mal wieder nach seinem schüler schaut sind die dinge ein klein wenig verändert. je nach charakter des schülers sieht er, was passiert ist, oder er denkt sich plausible ausreden aus und ist fest von seinem können überzeugt. wenn derjenige dann auch noch schüler hat, überträgt er seine „fehler“.

und wie alt ist kungfu? 400 jahre? über so eine lange zeit gerechnet sind dann kleine fehler innerhalb ein und denselben stils große veränderungen. Beispiel mantishand: jeder ist doch von seiner mantishand überzeugt und kann erklären, wieso sie genauso aussieht und nicht anders, und auch so am besten funktioniert.

Nochmal Nassem: ich habe mal in einem forum den satz gelesen das der schüler den weg seines meisters weiter geht, aber was für einen weg soll man den gehen wenn denn alles schon optimal ist? und man verändert nichts im sinne von „ein neues haus bauen“ sondern mehr im sinne von“ich fange mal an, räume in meinem haus auf“ also man vertieft sich mehr mit der materie und wenn ich das mache dann ändern sich auch viele bewegungen.
und wie schon gesagt, es gibt kein Optimum so wie es kein Perfekt gibt, aber man versucht drauf hin zusteuern ohne da wirklich drauf hinzusteuern 😀 da haben wir wieder wuwei

Und nochmal Dennis:Ich finde „alles verändern“ sollte nicht als erstes Ziel vermittelt werden. Wird es ja auch nicht. Ich sehe Kung Fu als eine Lebenseinstellung an, die am Ende dazu dient sich selbst zu finden und nicht jemandem abgefahren eins auf die Omme kloppen zu können. Wieso ich das jetzt hier sage? Das ganze Training hat eine Menge mit dem „Weg“ zu tuen, den jeder für sich geht. Und alleine in diesem Wort steckt sehr viel Individualität. Und da nun mal jedermans/fraus Kung Fu mit seinem/ihrem Individuum verbunden ist, geht es nicht anders als dass Kung Fu irgendwann sehr persönlich und eigen wird. Dabei sei gesagt, das wir hier von viel viel später reden, wenn man denn mal manche Dinge verstanden hat und so (siehe oben). Und ich bin der Meinung, dass man irgendwann damit anfangen sollte, zur richtigen Zeit eben (wenn man ehrlich zu sich selbst ist, weiß man, ob man selber so weit ist oder nicht). Es muss ja nicht zwangsweise soweit gehen. Wie gesagt, jedem sein Weg.

Und hier noch ein Sprichwort:
Wer anderen eine Bratwurst brät, hat ein Bratwurstbratgerät!!!

Jochen Wolfgramm

Jochen Wolfgramm Geboren am 25. Mai 1965, studierte erst in Münster Philosophie, Sinologie und Germanistik, beendete 1998 seine Ausbildung zum Physiotherapeuten (Sportphysiotherapeut seit 2000) und arbeitet seitdem in diesem Beruf. Seit 1989 betreibt er Gong Fu. Erst Qi Xing Tang Lang und Taiji Quan, jetzt Babu Tang Lang, Tong Bei Quan und Taiji Quan.

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